Elbvertiefung: Weltnaturerbe-Status in Gefahr?

Brief von Naturschutzverbänden an UNESCO

Die im schleswig-holsteinischen Wattenmeer vertretenen Umweltverbände NABU, Schutzstation Wattenmeer, Verein Jordsand und Bündnis Naturschutz in Dithmarschen haben sich vergangene Woche mit einem Brief an das Welterbe-Komitee der UNESCO in Paris gewandt. Darin drücken sie ihre großen Sorge um die drohende Gefährdung der ‚außergewöhnlichen, universellen Werte’ des Weltnaturerbes Wattenmeer durch die neunte Elbvertiefung aus. Sie sehen im Errichten einer Unterwasserablagerungsstätte (UWA) in der Medemrinne die Gefahr, dass die Watten im südlichen schleswig-holsteinischen Wattenmeer in ihrer bedeutenden Funktion als Nahrungsgebiete für Brut- und Zugvögel direkt, folgenschwer und langfristig geschädigt werden.


Die Medemrinne, ein bis zu 10 m tiefer Wattstrom der Elbe, bildet die südliche Grenze des Nationalparks und UNESCO-Welterbegebiets Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer. Sie wird zurzeit durch ein starres, aufgeschüttetes Unterwasserbauwerk großteils verschlossen, in das im weiteren Verlauf der Vertiefung die ausgebaggerten Sedimente eingelagert werden. Die Planungsunterlagen zeigen, dass das Bauwerk die Tidenströmungen im UNESCO-Weltnaturerbe verändern werden. Trotz der erkennbaren Gefährdung hat es keine Umweltverträglichkeitsprüfung zur Auswirkung auf die Schutzgüter des Weltnaturerbes Wattenmeer gegeben. Dessen ungeachtet haben die Behörden – ohne das UNESCO-Welterbe-Komitee über den Eingriff vorab zu informieren - mit ihrem Planfeststellungsbeschluss ihre Zustimmung zum Bau gegeben. 

Die an die Medemrinne angrenzenden Watten bieten essentielle und unersetzbare Nahrungsgebiete für (i) eine der größten Flussseeschwalbenkolonien im Wattenmeer, (ii) mehr als 50 % der nordwesteuropäischen Brandganspopulation während der Mauser, (iii) der nahezu gesamten Afro-Sibirischen Knutt-Population und (iv) einigen anderen rastenden Watvogelarten. Die Auswirkungen bedrohen das Fortbestehen dieser Nahrungsgebiete, in dem sie erheblich in die geologischen, ökologischen und biologischen Prozesse eingreifen, und dadurch die Artenvielfalt des Wattenmeers, die eine der größten weltweit ist, bedroht.
Die Bundesrepublik Deutschland ist mit der Ernennung des Wattenmeers zum Weltnaturerbe die Verpflichtung gegenüber der UNESCO eingegangen, das Wattenmeer nach bestem Wissen und Gewissen gegenüber anthropogenen Schädigungen zu schützen. Die Umweltverbände bitten nun die UNESCO um Unterstützung, indem sie ihrerseits bei den Planungsbehörden Hamburgs und des Bundes Antworten dazu erbitten:

  • ... auf welcher wissenschaftlich akzeptablen Grundlage auf die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung für das schleswig-holsteinische Wattenmeer verzichtet wurde und
  • ... wie die Planungsbehörden sicherstellen, dass zukünftig negative Auswirkungen auf die schleswig-holsteinischen Watten vermieden werden, und anhand welcher Begleituntersuchungen dies überprüft wird.

Aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse und Expertise befürchten die Umweltverbände, dass mit der Errichtung der UWA Medemrinne genau die außergewöhnlichen universellen Werte, für die das Wattenmeer ausgezeichnet wurde, in Gefahr sind. Sie sind in großer Sorge darüber, dass die Behörden durch ihre inadäquate Bewertung möglicher Auswirkungen einen enormen Umweltschaden im Weltnaturerbe Wattenmeer riskieren. Daher bitten die Umweltverbände die UNESCO, den zukünftigen Weltnaturerbe-Status des schleswig-holsteinischen Wattenmeers zu überprüfen. In Deutschland wurde schon einmal der Welterbetitel aberkannt: Das Dresdner Elbtal verlor 2008 nach dem Bau der Waldschlösschenbrücke den Welterbe-Status, als auch hier Infrastruktur-Projekten der Vorrang vor dem Schutz der außergewöhnlich wertvollen Schutzgütern gegeben wurde.

Foto: Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons) Containerterminal Tollerort im Hamburger Hafen
Die geplanten Baumaßnamen in der Unterelbe bedrohen Nahrungsgebiete für eine der größten Seeschwalbenkolonien im Wattenmeer Foto: Rainer Borcherding, Schutzstation Wattenmeer