Zugvögeln nach Afrika gefolgt

Vogelforscher halfen bei der Küstenvogelzählung in Guinea. Vortrag am 23. März im Nationalpark-Haus Husum

Im Januar im T-Shirt den ganzen Tag an der Küste stehen und Zugvögel zählen? Was in unseren Breiten wohl zu einem kräftigen Schnupfen führen dürfte, birgt weit südlich des Wattenmeers eher Sonnenbrandgefahr: Wolkenlose 30 Grad hat es zu Jahresbeginn an der westafrikanischen Küste – das wissen viele Wasservogelarten zu schätzen, die dort überwintern. Drei Vogelforscher aus Schleswig-Holstein sind ihnen nach Guinea gefolgt – zur weltweiten Synchronzählung der Wat- und Wasservögel. Die findet im Januar statt, wenn sich die Zugvögel noch in ihren Überwinterungsgebieten aufhalten. In einigen Ländern Westafrikas gibt es nur wenige Institutionen, die diese Zählungen organisieren können. Daher werden alle fünf Jahre mit internationaler Hilfe auch dort Zählungen organisiert, um verlässliche Populationsgrößen zu ermitteln. „Die Gesamtzählung im Januar 2014 hatte an den wichtigsten Überwinterungsplätzen in Westafrika erschreckend niedrige Zahlen erbracht“, sagt Jutta Leyrer vom Naturschutzbund Deutschland (NABU), „deshalb wurde bereits in diesem Jahr wieder gezählt.“ Die promovierte Biologin, die als stellvertretende Leiterin des Michael-Otto-Instituts in Bergenhusen arbeitet, ist eine von drei versierten Ornithologen aus Schleswig-Holstein, die dafür im Januar nach Guinea geflogen sind. Gemeinsam mit ihren Kollegen Bernd Hälterlein aus der Verwaltung des Nationalparks Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer und dem Diplom-Biologen Klaus Günther von der Schutzstation Wattenmeer unterstützte sie zehn Tage lang die afrikanischen Biologen bei ihrer Arbeit. „In Deutschland ist die Bedeutung des Wattenmeers für die Zugvögel seit den 1970er-Jahren gut erforscht“, sagt Bernd Hälterlein, „dann erfolgte langsam die Vernetzung über Länder und Kontinente.“ Denn so wichtig die Erkenntnis, dass das Wattenmeer von den Niederlanden bis Dänemark die „zentrale Tankstelle“ für durchziehende Vögel ist, so klar ist auch: „Es nützt nichts, den Knutt nur hier im Wattenmeer zu schützen. Man muss es auch an beiden Enden der Zugroute, im arktischen Norden und tropischen Süden, tun.“ Dazu verpflichtet nicht zuletzt die Anerkennung als Weltnaturerbe durch die Unesco. Das Verständnis für die globale Bedeutung des hiesigen Wattenmeeres für die Zugvögel bringt auch die Verantwortung mit sich, zu ihrem Schutz mit anderen Ländern entlang der Ostatlantik-Zugroute zusammenzuarbeiten. Das eine Ende der Zugroute ist Sibirien, wo viele Arten den kurzen arktischen Sommer zum Brüten nutzen. Verbindungen zur sibirischen Taimyr-Halbinsel, dem Brutgebiet von Ringelgans und Knutt, wurden bereits 1992 geknüpft, fast 20 Jahre lang gab es eine gute Zusammenarbeit. Heute ruht diese weitgehend. Bernd Hälterlein: „Internationale Kooperation erfordert von allen Seiten dauerhaft große Anstrengungen – es ist schwer, das über Jahrzehnte lebendig zu halten.“ Das andere Ende sind die Küsten Westafrikas, wo die Vögel den Winter verbringen. Um die Forschung in diesem Gebiet zu stärken, wurde die „Wadden Sea Flyway Initiative“ ins Leben gerufen. Finanziert durch das Land Schleswig-Holstein reisten die Experten aus Schleswig-Holstein für dieses Vorhaben jetzt erstmals nach Guinea. Vom Nordseerand zum Tropenstrand „Die Zusammenarbeit mit den afrikanischen Kollegen und Kolleginnen ist trotz mancher kultureller Unterschiede sehr gut“, sagt Jutta Leyrer über ihre Arbeit in afrikanischen Wattgebieten. Sie kennt die Alltagsschwierigkeiten, denen europäische Ornithologen sich dort gegenüber sehen von vielen Forschungsreisen nach Mauretanien: „Absprachen sind nicht immer so verbindlich – und wenn man mit einem engen Zeitfenster hinfliegt, steht man oft unter enormem Druck, auch Ergebnisse mitzubringen.“ Das spürten die Schleswig-Holsteiner gleich am Tag nach ihrer Ankunft in der Hauptstadt Conakry, einem einstigen Fischerdorf, in dem heute fast zwei Millionen Menschen leben. Jutta Leyrer: „Die Expedition war immer wieder schwierig. Die Gelder, die zur Finanzierung der Zählung vor Ort gedacht waren, waren angeblich nicht angekommen, es gab zwar einen Plan, aber kein Auto, kein Benzin, kein Boot.“ Doch aus Erfahrung wusste sie: „Da muss man stur bleiben, dann geht es irgendwann.“ Sie erklärte den Vertretern des Ministeriums für Umwelt, Wasser und Wälder Guineas, dass sie zum Vogelzählen gekommen seien und nun auch zählen wollten. Dann konnte es tatsächlich losgehen mit dem Organisieren eines Transports an die Küste im Norden, wo viele Vögel vermutet wurden, mit der Suche nach einem Boot und Treibstoff. Die ehemalige französische Kolonie Guinea ist etwa so groß wie Großbritannien, riesige Teile sind mit Bergurwäldern bedeckt. Bis vor zwei Jahren wütete die Ebola-Epidemie in dem Land. Die größten Herausforderungen sind Armut und Hunger. Das Land hat sich vorgenommen, sich bis 2030 von einem Entwicklungsland zu einem Schwellenland emporzuarbeiten. Die Menschen hier kämpfen ums Überleben, das Zählen von Wasservögeln hat da keine Priorität. „Die meisten Leute sind sich der Umweltprobleme sehr bewusst, es stehen aber einfach andere Dinge im Vordergrund“, sagt Leyrer. Die Zusammenarbeit mit den Rangern des Meeresschutzgebietes klappte dann sehr gut. Die deutschen Experten fühlten sich sehr willkommen. „Die Leute sind engagiert“, sagt Jutta Leyrer, „sie machen sehr viel in dem Rahmen, in dem sie sich bewegen können. Aber es ist eine ganz andere Welt.“ Während die deutschen Vollblut-Ornithologen selbst in ihrer Freizeit regelmäßig und auch privat perfekt zur Vogelbeobachtung ausgerüstet auf dem Deich stehen, ist dies bei den Rangern an der Küste Guineas völlig anders. Sie kennen schlicht einige Gebiete nicht so gut, weil sie dort aufgrund fehlender finanzieller Mittel und Logistik nicht hinkommen. Es fehlt an Booten, die für die Erkundung der tidenbeeinflussten Wattgebiete geeignet sind, und auch an der Ausrüstung: die Ferngläser sind alt und schlecht, es gibt kein funktionierendes Spektiv. Dadurch haben die Mitarbeiter der Schutzgebiete auch wenig Übung bei Vogelzählungen in Wattgebieten. Klaus Günter: „Bei uns ist es schon nicht leicht, Vögel im Wattenmeer zu zählen – in Afrika ist das noch viel schwieriger.“ Ob Knutts, Pfuhlschnepfen, Sandregenpfeifer oder Seeschwalben – die Vögel tragen ihr winterliches Schlichtkleid, mit dem sie im Flirren der heißen Luft und im Gegenlicht in großer Distanz nur schwer zu bestimmen sind. Und Jutta Leyrer ergänzt: „Es hilft den hauptamtlichen Naturschützern in Guinea sehr, wenn internationale Experten kommen um sie zu unterstützen“. Sie hofft auf eine langfristige Partnerschaft zwischen dem Wattenmeer und Schutzgebieten in Guinea. Und zu welchem Ergebnisse sind die Experten gekommen – war das beunruhigende Ergebnis von 2014 nur ein Ausreißer? „Die Zahlen sind noch nicht ausgewertet und müssen zusammen mit den Zählergebnissen aus den anderen westafrikanischen Ländern, wie Mauretanien, Senegal und Guinea-Bissau betrachtet werden“, sagt Jutta Leyrer, „doch je mehr Daten vorliegen, desto verlässlicher lässt sich sagen, ob es tatsächlich weniger Vögel gibt oder aber die Zahlen nicht ausreichend genau und vollständig sind.“ Dass die Zugvögel an der westafrikanischen Küste bedroht sind, liegt für sie aber auf der Hand: „Die Küste ist zugemüllt, alles ist bunt von Plastik, Abwässer werden ungefiltert eingeleitet, Mangroven werden abgeholzt, um Bau- oder Feuerholz zu gewinnen – der Lebensraum der Wat- und Wasservögel wird stark gefährdet und wird vielerorts zerstört.“ Eindrucksvoll war es für die drei Vogelkundler aus Deutschland, die ihnen bekannten Knutts und Pfuhlschnepfen neben afrikanischen Flamingos, Pelikanen und vielen kleinen Winkerkrabben auf von Mangroven gesäumten Wattflächen unter tropischer Sonne wiederzusehen. Und am Ende der Reise gab es dann noch den ganz persönlichen Höhepunkt: Gesichtet wurde eine Lachseeschwalbe, die die drei Biologen selbst im vorigen Sommer als Küken im Dithmarscher Wattenmeer mit Farbringen versehen hatten. „Das ist der erste sichere Nachweis einer unserer Wattenmeer-Lachseeschwalben im fast 5.500 Kilometer entfernten in Westafrika“, sagt Klaus Günther. „Dieser Fund zeigt auch, wie wichtig der Schutz der Wattenmeervögel auf ihrem gesamten Zugweg ist. Die Wattgebiete an Afrikas Küste, wahre Naturschätze, müssen unbedingt großflächig und möglichst vollständig unter Schutz gestellt werden.“

Am Donnerstag, den 23. März berichten Jutta Leyrer, Bernd Hälterlein und Klaus Günther im Nationalpark-Haus Husum über diese Reise:
Mit den Zugvögeln nach Westafrika – Vogelzählungen im tropischen Wattenmeer
Donnerstag, 23. März, 20:00 Uhr
Nationalpark-Haus
Hafenstraße 3, 25813 Husum
Der Eintritt ist frei

Ein ungewohnter Anblick: Brachvögel und Pfuhlschnepfen mit den etwa eben so großen Königsseeschwalben.
Vogelrastgebiete liegen direkt neben landwirtschaftlichen Flächen
Während Brachvögel bei uns eher Abstand zu Bäumen halten, nutzen sie in Guinea die Mangroven als Rastplatz bei Hochwasser.
Im Müll sind sind die zahlreichen Watvögel und Reiher leicht zu übersehen...
Königsseeschwalben